War überzogene IR-Arbeit Schuld an der Börsenblase?
JA, sagt Prof. Alfred Kieser, Uni Mannheim
Zunächst einmal: Im Grunde ist es ein Feedback-Mechanismus, der eine Börsenblase speist: Steigende Kurse heizen die Nachfrage an. Erzielte Gewinne und der Optimismus, dass die Kurssteigerungen anhalten, motivieren die Anleger zu weiteren Käufen. So kommt es dass der Markt ein höheres Niveau erklimmt, als er es ohne die Verstärkung des Feedbacks erreichen würde. Gelangt diese Spirale an ihr Ende – und irgendwann muss sie das tun – setzt eine entsprechende, ebenfalls Feedback-verstärkte Abwärtsbewegung ein.
Es gibt noch einen weiteren Mechanismus: Anleger widmen ihre Aufmerksamkeit vor allem Unternehmen, die sich in der Vergangenheit mit besonders hohen Kurssteigerungen hervorgetan haben. Die Aufmerksamkeit nimmt weiter zu, wenn die Anleger mit den Aktien dieser Unternehmen Gewinne erzielt haben. Und es wächst auch das Gefühl der Verbundenheit mit den Unternehmen der im Depot gehaltenen Aktien.
Wenn Anleger unsicher werden, hören sie auf Experten. Am liebsten auf Experten, die ihre Ansichten teilen. Experten erzählen in den Medien plausible Geschichten, weshalb ein bestimmter Markt – wie das dotcom‐Business – ein großes Potenzial verspricht und bestimmte Unternehmen in ihm besonders hohe Gewinne.
Es sind aber nicht Zahlen, die Investoren beflügeln, sondern Geschichten sind ansteckend; wenn sie gut sind, verbreiten sie sich mit rasanter Geschwindigkeit. Viele solcher ansteckenden Geschichten werden in Investor Relations-Abteilungen ausgeheckt. ,“Mit Hilfe der Darstellung der Unternehmensstrategie wird eine Zukunftsfantasie erzeugt, die zu einem USP (Unique Selling Proposition) an der Börse führen kann. Nur wenn diese Phantasie vorhanden ist. wird sich ein Wert (…) überdurchschnittlich entwickeln“, dozierten Herrmann Simon und Partner im Jahr 2000 zur Aufgabe des Investor Relations.
Da sich Geschichten mit Vorliebe um Helden ranken, rieten Simon und Partner weiter, auch die entsprechenden Kommunikatoren aIs Helden von Geschichten herauszustellen: ..Es hat sich gezeigt. dass neben der „story“ eines Unternehmens auch ihr Kommunikator überzeugen muss. Einige Vorstandsvorsitzende, wie z.B. Thomas Haffa von EMTV, Gerhard Schmid von Mobilcom oder Ulrich Schumacher von Infineon haben durch ihre charismatische Ausstrahlung einen erheblichen Teil zum Erfolg ihres Unternehmens am Kapitalmarkt beigetragen.“
Wie wir gesehen haben, fiel das Charisma einiger dieser Kommunikatoren relativ schnell in sich zusammen. Dass viele Anleger einige Zeit von den Erfolgsstorys felsenfest überzeugt waren und die Kurse trieben. daran hat sicher auch Investor Relations einen Anteil. Allerdings: Man kann auch nicht ein Marketing als missraten schelten, das Kunden dazu bringt. überhöhte Preise zu zahlen.
NEIN, sagt Maximilian Fischer, CE Consumer
Die Beschreibung kommt einem vor wie aus einer fernen Zeit, dabei ist es gerade mal fünf Jahre her, dass sich eine neue Währung etablierte: Aktien. Wöchentlich kamen neue Unternehmen auf den Kurszettel. Neugründungen von Studienabgängern genau so wie über Jahre hinweg etablierte Unternehmen. Vielfach überzeichnete Neuemissionen waren an der Tagesordnung; Irrationalität bestimmte den Börsenalltag.
In dieser Zeit erlebte das in Deutschland sehr junge Berufsbild des Investor Relations-Managers geradezu einen Boom. Als Schnittstelle zwischen Analysten, Investoren und Fachjournalisten auf der einen und dem börsennotierten Unternehmen auf der anderen Seite wurde Investor Relations zu einer besonderen Herausforderung und zur unverzichtbaren Schlüsselfunktion für die langfristig erfolgreiche Positionierung eines Unternehmens am Kapitalmarkt.
Dabei befanden sich die IR-Manager in einem Spannungsfeld: Es galt einen gierigen Markt zu befriedigen und gleichzeitig die Erwartungen der Marktteilnehmer zu managen. Institutionelle Investoren wollten eine Equity-Story, die Analysten der Investmentbanken brauchten Stoff für die nächste Studie. Tausende Aktionäre wollten Gewinne sehen. Und auch die Finanzpresse war hungrig auf News.
IR-Profis haben den Börsenhype dabei keineswegs angeheizt, sondern nutzten die Palette der Möglichkeiten zur kapitalmarktorientierten Kommunikation: Conference Calls, Analystentreffen, Quartalsberichte, Roadshows, Unternehmensmeldungen, Internetauftritt. Die Shareholder Value Orientierung der Unternehmen war oberstes Gebot. Dabei sahen sich die vielen neu ernannten IR-Manager und auch die neu berufenen CEOs in der Kommunikation mit dem boomenden Kapitalmarkt der ständigen Versuchung ausgesetzt, das Unternehmen besonders positiv herauszuheben.
Professionelle Investor Relations im Sinne von externem Erwartungsmanagement anhand sachlicher Information wurde seinerzeit schwieriger. Fakten flossen zwar in die Bewegungen mit ein, aber selbst Hinweise auf eine überzogene Bewertung des eigenen Unternehmens blieben ohne Auswirkungen auf den Kurs. Phantasie zählte mehr als Zahlen und Fakten. Euphorie bestimmte das Handeln. Die Kapitalmarktteilnehmer ignorierten in ihrer Gier konsequent die Risiken und geltende Gesetzmäßigkeiten des Marktes.
Inzwischen ist der Börsenhype Geschichte. Ebenso der Neue Markt. Börse und IR stehen einer neuen Realität gegenüber: veränderte Rahmenbedingungen, härterer Wettbewerb, Verschärfung der Veröffentlichungspflichten. Zahlen und Fakten stehen wieder im Fokus. Umfassende Qualifikation im Bereich Investor Relations ist heute mehr denn je die grundlegende Voraussetzung für eine erfolgreiche Unternehmenskommunikation.